Landkreis Harburg. Auch für die Ehrenamtlichen der Außenstelle des WEISSEN RINGS im Landkreis Harburg war 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie ein besonderes Jahr. Die Anzahl der Opferfälle reduzierte sich ebenso wie die Aktivitäten bei Prävention und Weiterbildung. Trotz dieser außergewöhnlichen Umstände und völlig veränderter Rahmenbedingungen können die Mitarbeiter*innen der Außenstelle auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken.
In 2019 wandten sich noch 116 Betroffene von Straftaten an den WEISSEN RING im Landkreis. Im Gegensatz hierzu suchten im letzten Jahr nur 77 Opfer dessen Unterstützung. Obwohl die Kriminalitätsstatistik 2020 für den Landkreis Harburg noch nicht vorliegt, ist zu vermuten, dass die Anzahl der Straftaten, deren Opfer sich erfahrungsgemäß an den WEISSEN RING wenden, auf einem geringeren Niveau als 2019 liegt. Weniger Straftaten bedeuten auch weniger Opfer somit einen geringeren Bedarf an Hilfe und Unterstützung.
Bei Beratung und Hilfe der 77 Opfer waren Kontaktbeschränkungen und Einhaltung der „AHA-Regeln“ erhebliche Herausforderungen. In einigen einfach gelagerten Fällen konnte den Betroffenen glücklicherweise telefonisch geholfen werden, die überwiegende Mehrzahl der Fälle verlangte jedoch den persönlichen Kontakt zwischen Opfer und Mitarbeiter*innen der Außenstelle. Dies betraf insbesondere die Opfer der drei versuchten Tötungsdelikte sowie die 18 Betroffenen, die sexualisierte Gewalt erdulden mussten. Aber auch in 15 Fällen häuslicher Gewalt, bei neun Stalkingdelikten sowie bei 26 Körperverletzungen konnte die Hilfe nicht nur aus der Ferne erfolgen. Hier war die unmittelbare Nähe der Ehrenamtlichen zu den Betroffenen wichtig und erforderlich.
Rund drei Viertel der von den Ehrenamtlichen unterstützten Opfer war weiblich. Der Altersdurchschnitt der Betroffenen betrug etwa 40 Jahre. Das älteste Opfer war 82 Jahre alt, das jüngste Opfer war noch ein Kleinkind im Alter von 2 ½ Jahren. Immer wenn Kinder und Jugendliche Opfer von Straftaten – insbesondere von Gewalt- oder Sexualdelikten – werden, erfolgt die Betreuung und Unterstützung in enger und bewährter Abstimmung mit den Mitarbeiter*innen des Kinderschutzbundes im Landkreis Harburg. Während der WEISSE RING in diesen Fällen die Erziehungsberechtigten unterstützt und berät, kümmert sich der Kinderschutzbund um das Wohl der Kinder bzw. Jugendlichen.
Beim WEISSEN RING im Landkreis Harburg haben sich im letzten Jahr 32 Opfer von Straftaten gemeldet, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befanden oder traumatisiert waren. In diesen Fällen konnten psychologische Erstberatungen für die Opfer finanziert werden. Die Erstberatungen ersetzen keine Therapie, sie dienen vielmehr als Sofortmaßnahmen der psychischen Stabilisierung der Opfer. Das Pendant zur psychologischen Erstberatung ist die Erstberatung durch einen Rechtsanwalt. Die Opfer haben häufig konkrete Fragen bezüglich ihrer rechtlichen Situation. Auch in diesen Fällen konnte der WEISSE RING helfen und 32 rechtliche Erstberatungen durch vom Opfer frei gewählte Rechtsanwälte finanzieren. Bei vielen Terminen wurden die Opfer von Mitarbeiter*innen der Außenstellen zum Rechtsanwalt oder auch während der späteren Gerichtsverhandlung als Person des Vertrauens begleitet. Insgesamt betrugen die Kosten für psychologische und anwaltliche Beratung 12.160 Euro und liegen somit geringfügig höher als 2019 (11.400 Euro).
Es kommt immer wieder vor, dass Opfer von Straftaten durch die erlittene Tat in finanzielle Nöte geraten. Oft ist dann sofortiges Handeln erforderlich. Nach sorgfältiger Prüfung konnten 11 Betroffenen Soforthilfen von insgesamt 3.200 Euro zur Überbrückung dieser tatbedingten Notlagen ausgezahlt werden.
Auch wenn psychologische und anwaltliche Erstberatung, Soforthilfen oder andere finanzielle Unterstützung sicherlich zu Recht einen hohen Stellenwert haben, ist und bleibt die wichtigste Unterstützung für die Opfer das persönliche Gespräch. „Es ist endlich jemand da, der mich ernst nimmt, der mir keine Vorwürfe macht, dem ich vertrauen kann und der mir hilft. Das tut mir gut!“ So berichten viele Betroffene. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass in 12 Fällen das persönliche Gespräch mit Tipps und Hinweisen der Opferhelfer*innen und deren einfachem Zuhören vom Betroffenen als vollkommen ausreichend empfunden wurde und deshalb nach dem Gespräch kein weiterer Handlungsbedarf bestand.
Die Mitarbeiter*innen der Außenstelle hatten für 2020 eine erhebliche Anzahl von Präventionsaktionen geplant. Über das Jahr verteilte Selbstbehauptungskurse für Senioren über 65 Jahre in Todtglüsingen, Buchholz und Stelle sollten ebenso stattfinden wie Vorträge über Enkeltrick, Internetkriminalität oder sexualisierte und häusliche Gewalt. Vieles war geplant, leider konnte nur ein Bruchteil aufgrund der Pandemie in die Tat umgesetzt werden. Immerhin fanden zwei Selbstbehauptungskurse, Informationsaktionen am Tag der Zivilcourage im September sowie zum Tag gegen Gewalt an Frauen im November statt. Ergänzt wurden die Aktivitäten durch eine geringe Anzahl von Vorträgen zu Internetkriminalität, Trickbetrug und anderen aktuellen Themen.
Nun blicken die Mitarbeiter*innen hoffnungsvoll auf das Jahr 2021. Es ist wieder vieles geplant, aber noch sind die Termine in den Kalendern recht übersichtlich. Sobald Covid-19 es erlaubt, geht es wieder mit Volldampf los. Neben der Beratung und Unterstützung der Opfer von Straftaten gilt es wieder verstärkt Präventionsaktionen durchzuführen. Selbstbehauptungskurse, Vorträge zu aktuellen Themen sowie öffentlichkeitswirksame Informationsstände sollen auch in 2021 den Schwerpunkt bilden.
In diesem Jahr kommt aber noch ein weiteres wichtiges Thema hinzu. Immer wieder stellen die Opferhelfer*innen fest, dass die Betroffenen von Straftaten nur durch Zufall vom WEISSEN RING und dessen Unterstützungsmöglichkeiten Kenntnis erhalten haben. Kurz gesagt: Der WEISSE RING muss im Landkreis Harburg bekannter werden. Es gibt noch zu viele Opfer von Straftaten, die mit den Folgen der Taten allein gelassen werden. Das gilt für die Opfer von Gewaltdelikten und deren Angehörigen ebenso wie für eine Seniorin, deren Rente am Monatsanfang beim Abholen von der Bank aus ihrem Rollator gestohlen wurde und sie nicht weiß, wie sie über den Monat kommen soll.
Ergänzende Informationen und Hinweise finden Sie auf unserer Website: harburg-kreis-niedersachsen.weisser-ring.de/
Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Weisser Ring sind auch bundesweit für Opfer von Gewalttaten da. Unter Telefon 116 006 gibt es erste Infos und den Kontakt zur Außenstelle in der Nähe!